Ludwig-Börne-Preis 2013

„Modesty is not your main competence“ – diesen Satz würde er gelegentlich von seiner Gattin hören, erwähnte gestern Hans Ulrich Gumbrecht, als er die Laudatio auf den von ihm ausgewählten Ludwig-Börne-Preisträger 2013, Peter Sloterdijk, hielt. Aber wer bescheidene Menschen sehen will, geht an einem solchen Tag auch nicht in die Paulskirche. Der Ludwig-Börne-Preis gilt als die höchste intellektuelle Auszeichnung in Deutschland und wird an Essayisten und Kritiker vergeben. Im vergangenen Jahr erhielt die Auszeichnung der Historiker und FR-Kolumnist Götz Aly. (Zu meinem Artikel über die Preisvergabe 2012 hier klicken)

Der Preisträger wird von einem einzigen – vom Vorstand der Börne-Stiftung bestimmten – Juror nach eigenem Ermessen ausgesucht. Bei der gestrigen Preisverleihung an Peter Sloterdijk fehlten einige vorjährige Preisträger, z.B. Alice Schwarzer, die 2008 von Harald Schmidt ausgewählt wurde, und Hendryk M. Broder. Letzterer ist vor allem dadurch bekannt geworden, dass er nahezu wahllos Menschen als Antisemiten beschimpft, der jüngste Fall ist Jakob Augstein, der sich von Broder als „antisemitische Dreckschleuder“ bezeichnen lassen musste. Jetzt verkündete Broder gar, er wolle seinen Ludwig-Börne-Preis zurückgeben, den er 2007 auf Vorschlag von Helmut Markwort erhielt, weil er mit dem neuen Preisträger nicht einverstanden ist. Anlass war eine Aussage Sloterdijks zu 9/11 (wer sich für die Argumentation Broders interessiert, kann sie hier – Link zur Welt – nachlesen)

Einige Lacher gingen gestern auf Broders Kosten. So schlug der Vorstands-Vorsitzende der Ludwig-Börne-Stiftung, Michael A. Gotthelf, eine Satzungsänderung vor, nach der Preisträger ihren Preis maximal zweimal zurückgeben dürften – Broder hatte bereits vor zwei Jahren die Rückgabe des Preises verkündet, die Rückzahlung des Preisgeldes in Höhe von 20.000 Euro steht allerdings noch aus.

Der Vorschlag des diesjährigen Preisträgers Peter Sloterdijk, den Staat nicht mehr durch Steuern sondern durch freiwillige Spenden Vermögender zu finanzieren, hat vor einigen Jahren für Aufregung gesorgt (siehe hier). Dass er diesen Vorschlag nicht verstehe, gestand Oberbürgermeister Feldmann in seiner Ansprache, Laudator Gumprecht antwortete in seiner Rede: Das sei doch ganz einfach: „Großzügigkeit statt Steuern“. Nun könnte man in Abwandlung eines Zitates von Ludwig Börne erwidern:

„Ja, weil ich als Arbeiterkind geboren, drum liebe ich die Gerechtigkeit mehr als ihr. Ja, weil ich die Armut gelernt, darum verstehe ich die Gerechtigkeit besser als ihr“.

Trotz aller Vorbehalte hat mich Peter Sloterdijk gestern sehr beeindruckt. Er erzählte von seiner „unfreiwilligen und schmerzhaften Vertreibung aus dem Paradies der Unbekanntheit“ und wie er vom Weltenflüchtling zum öffentlichen Intellektuellen wurde. Auch wenn er Broder nicht erwähnte, ging er doch auf dessen Vorwurf ein: Er habe nach dem 11. September versucht, nicht reflexhaft zu reagieren und sich Zeit für einen zweiten Blick auf die Verhältnisse zu nehmen. Er sprach von der anti-islamischen Verbissenheit, die überall in der westlichen Welt überhand nehme und von den Sekuritätssüchtigen, die den Feind ums Hundertfache vergrößerten. (Da musste ich unweigerlich an Boris Rhein und die Frankfurter CDU denken, für die jeder Kapitalismuskritiker ein Gewalttäter ist, der als Mitglied des vermeintlich „schwarzen Blocks“ mit Polizeiprügeln und Pfefferspray bekämpft werden muss). Der Terrorbegriff der Amerikaner sei ein virales Ungeheuer, das auch den türkischen Ministerpräsidenten Erdogan angesteckt habe, der die BürgerInnen seines Landes wie Terroristen behandle.

Mir hat dieser Vormittag Lust auf die Texte von Peter Sloterdijk gemacht, beginnen werde ich mit diesem Text: „Warum ich doch recht habe“ in der ZEIT.

Peter Sloterdijk in der Paulskirche
Peter Sloterdijk in der Paulskirche
Christian Berkel trägt Texte von Ludwig Börne vor
Christian Berkel trägt Texte von Ludwig Börne vor
Die erste Reihe beim Ludwig-Börne-Preis 2013 in der Paulskirche
Die erste Reihe beim Ludwig-Börne-Preis 2013 in der Paulskirche

3 Kommentare zu „Ludwig-Börne-Preis 2013

  1. „Er sprach von der anti-islamischen Verbissenheit, die überall in der westlichen Welt überhand nehme und von den Sekuritätssüchtigen, die den Feind ums Hundertfache vergrößerten.“
    Diese Wahrnehmung wird von der Realität bei der Kriminalitätsbekämpfung bestätigt. Ein Oberstaatsanwalt wird von Petra Reski zitiert: „Wir haben alle Kräfte auf die Bartträger konzentriert und verlieren den Blick für die organisierte Kriminalität der Mafia in unserer Gesellschaft“ Die praktische Anwendung des Phänomens der Sekuritätssucht!

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