Buchmesse 2011 – Open Talk

Zwei, die sich einig waren: Richard David Precht und der Neurobiologe Prof. Gerald Hüther bei der Veranstaltung Open Talks, an der außer Buchmessenchef Juergen Boos und Literaturwissenschaftlerin Karin Fischer auch Marion Schwehr teilnahm, die das Projekt Streetview Literatur entwickelt hat.

Wie kommt das Neue in die Welt? Durch Begeisterung, lautet die Antwort des Hirnforschers Hüther. Denn nur was mit Begeisterung gelernt wird, wirkt nach. Hüther wies auf den Unsinn „Brain Gym“ hin: Das Gehirn sei kein Muskel, den man trainieren könne. Einig waren sich alle Diskutanten, dass neues Denken nur ohne Anpassungsdruck entstehen könne. Unser Bildungssystem aber fordere zu viel Anpassung bereits in der Grundschule.

„Die falschen Leute werden aus den falschen Motiven Lehrer, deshalb gibt es so wenig gute Lehrer. Anstelle eines durchgeplanten Referendariats sollten die angehenden Lehrer sich mit kindgerechten Vorträgen bei den Kindern bewerben“, schlug Precht vor.

Prof. Hüther wies darauf hin, dass ein einzelnes Gehirn nicht zu neuen Erkenntnissen fähig sei. „Das Gehirn ist ein soziales Organ“, betonte er.

Dennoch dürfe man Schwarm-Intelligenz nicht überbewerten, meinte Precht. Wenn es um Strukturierung und Bewertung gehe, zähle noch immer das Individuum, auch und gerade in der Politik. Precht kritisierte die Kreativität im Destruktiven, die sich zum Beispiel auch in der Blogospähre zeige, wenn Prominente gnadenlos beschimpft würden.

Neues entstehe oft unabsichtlich als Nebenprodukt (wie das Internet) oder in Zwischenräumen, meinte Precht. Funktionierende Gesellschaften brauchen beides: Konservativismus und Kreativität.

Ein mir besonders einleuchtender Ansatz von Prof. Hüther: Im Wettbewerb entstehen keine Innovationen, sondern lediglich weitere Spezialisierungen. Das aber sei das Denken des vorigen Jahrhunderts. Wettbewerb sei etwas für Leistungssportler und Fachidioten. Fazit des Neurobiologen: Es sind die Dilemmata, die zu kreativen Prozessen und zu neuen Lösungen führen.

(Mehr zu Richard David Precht in meiner Post vom 24.7.2011 und in meiner Besprechung vom 28.7.2011 )

Ein Kommentar zu „Buchmesse 2011 – Open Talk

  1. So ist es, aber die deutsche Bildungspolitik ist von einer Sturheit infiziert, die sich einer Neuerung widersetzt. Seit 2005 versuche ich dieses Thema an die Schulen zu tragen und stoße außer wohlfeiles Schulterklopfen nur auf Lethargie und ein unerträgliches Phlegma. Lieber blöd, als begeistert. Die deutschen Schüler sind mit dieser Bildungspolitik, die sich noch nicht von ihren faschistischen Wurzel getrennt hat bestraft und unterfordert. Jede schlechte Note letztendlich ein Aufschrei eines Schülers der sich unterfordert fühlt, jeder Abbrecher ein „Widerstandskämpfer“ der gegen ein System opponiert, das ihn nicht als co-kreativer Partner akzeptiert. Kein Schüler lernt nicht, lernen ist uns angeboren, wir können gar nicht nicht lernen. Allein, es kommt nur darauf an was und wie er lernt. Und die, die mit guten Noten nach Hause kommen, sind jene um die wir uns wirklich sorgen machen sollten, denn die Anpassung an dieses System sollte uns skeptisch machen. Mehr zu diesem Thema, bitte.

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