„Schon mehr als einmal“, lachte ich. Meine Behandlerin blieb ernst und drückte weiter an meinem unteren Rücken herum. Ich zahlte 65,50 Euro für die Stunde – es war im Jahr 2008 – und kam nie wieder. Empfohlen worden war mir die Praxis von einer Ärztin, als weiterer Versuch nach Massage und Krankengymnastik, Akupunktur und Yoga nun eben Osteopathie gegen die Kopfschmerzen. Es war eine teure Reise durch die sogenannte Alternativ- oder sanfte Medizin. Geholfen hat schließlich eine Veränderung meiner beruflichen Verhältnisse.
Als ich meine Ärztin, die über ein Medizin- und ein Psychologiestudium sowie jahrzehntelange Erfahrung mit Patienten verfügt, damals fragte: Wie wirkt denn Osteopathie, schüttelte sie den Kopf. Das verstünde sie auch nicht. Solche Bankrotterklärungen und Unterwerfungsgesten erlebt man heute bei vielen Ärzten. Das ärztliche Selbstbewusstsein sinkt dramatisch, manche Ärzte kompensieren das, indem sie selbst esoterische Heilmethoden anbieten und so wenigstens am wirtschaftlichen Erfolg der Heilerei partizipieren (siehe meinen Artikel „Schwarzbuch Esoterik“).
Der Patient verlange eben solche Methoden, heißt es oft. Aber warum? Weil eine groß angelegte PR-Maschinerie, an der sich auch seriöse Medien beteiligen, den Boden bereitet.
Ich wollte heute morgen nicht glauben, dass es sich um einen Artikel handelt, ich hielt den Text erst für eine ganzseitige Anzeigen-Sonderveröffentlichung, aber nein, es handelt sich um einen redaktionellen Beitrag mit dem Titel: „Heilen mit den Händen“ von Jutta Rippegather. Sie wirbt hier für eine Osteopathin mit den Worten:
„Fuhrmann und ihre Kollegen verwenden weder Spritzen noch Medikamente. Für die Behandlung benötigen sie lediglich eine beheizbare Liege und ihre Hände. Jedes Mal wird der Körper komplett untersucht, weil die Biochemie sich innerhalb von zwei Wochen sehr stark ändern kann. Zuvor haben sie in einem Anamnesebogen Verletzungen und Krankheiten abgefragt. Auch Jahrzehnte zurückliegende Ereignisse könnten wichtig sein. „Wir entdecken Funktionsketten.“ (FR vom 26.3.2013)
Da hat die Frankfurter Rundschau aber einen Bock geschossen! Wo ist ihr kritischer Verstand geblieben und wo der Recherche-Anspruch? Wo die Trennung zwischen Werbung und Journalismus?
Zur Recherche über esoterische Heilmethoden empfehle ich den Wissenschafts-Blog Astrodicticum Simplex von Florian Freistetter, zum Beispiel den Artikel “Kritischer Journalismus” oder Werbung? Osteopathie im Standard“.
Die Medizin ist keine exakte Wissenschaft, der therapeutische Teil funktioniert häufig nur nach dem Prinzip try & error – recht hat, wer erfolgreich heilt (Prof.Grönemeyer) und es bleibt die Frage was heilen heißt. Ist das die Abwesenheit von Schmerzen oder doch mehr?
Wenn sich erwachsene Menschen aus freien Stücken und aus eigenem Geldbeutel – und nicht aus der Solidarkasse – mit esoterischen Heilungsmethoden behandeln lassen, ist mir das schnuppe. Es ist mir auch völlig klar, dass Zuwendung und Berührung die Heilung unterstützen kann. Ein ordentliches Gehalt für jeden Physiotherapeuten wäre aber sicher sinnvoller, als eine ganze Berufsgruppe zu zwingen, obskure Zusatzausbildungen zu machen, die sich dann privat abrechnen lassen.
Guter Journalismus plappert jedenfalls keine Esoterik-Broschüren nach, sondern recherchiert, ob es Erkenntnisse über die Wirkungsweise gibt, etc.
Soviel ist richtig: Eine kritische Haltung ist immer angezeigt. Aber: Auch die Schulmedizin kann oft keine kausalen Beschreibungen für Wirkungszusammenhänge bei ihren Therapien angeben. Manche sagen mittlerweile, der Placebo-Effekt sei genaugenommen der Normalfall. Da ist viel Unfug im Spiel, aber auf vielen Seiten, nicht nur bei den Esoterikern. Ich habe selbst erlebt, wie in einer Psychosomatik Patienten mit nicht-schulmedizinischen Methoden gesundet sind, ohne daß irgendwelche Pillen usw. verabreicht werden mußten. Daran hat natürlich vor allem einer kein Interesse: Der Pillenhersteller. Dem Patient kanns aber recht sein. Insoweit: Es kommt auf den Einzelfall an, man kann dazu nichts Allgemeines aussagen. Insoweit bin ich aufgeschlossen für Ärzte, die angesichts ihrer Bemühungen auch etwas Demut an den Tag legen und sich ihrere Grenzen bewußt sind. Das ist freilich bei den Esoterikern sehr viel seltener zu finden, was am oftmals geschlossenen Weltbild liegt.