Karl Weil ist gestorben, habe ich gerade in der Frankfurter Rundschau gelesen. Das hat eine Kaskade an Erinnerungen ausgelöst.
Ich habe Karl Weil mit 16 Jahren kennen gelernt, damals begann ich eine Ausbildung zur Industriekauffrau in einem mittelständigen Betrieb in der Wetterau. Der Betrieb bestand aus zwei Werkshallen und einem modernen Bürogebäude aus getöntem Glas, was damals sehr ungewöhnlich war.
Gleich am ersten Tag – ich zeichnete mit Tusche und Lineal Schrankwandmodelle auf transparentes Papier – kam der Betriebsratsvorsitzende vorbei, der in meiner Erinnerung wie Helmut Kohl aussah und auch so ähnlich hieß, und ließ sich das Mitgliedsformular für die Gewerkschaft Holz und Kunststoff unterschreiben.
Dadurch lernte ich Karl Weil kennen, der am anderen Ende im Bürogebäude an seinem Schreibtisch in der Abteilung Arbeitsvorbereitung aufpasste, dass man den Arbeitern nicht zu viel Aufträge in eine Arbeitswoche packte. Durch Karl wurde ich gewerkschaftlich aktiv, nahm an vielen Aktionen und Seminaren der Gewerkschaft teil. Ich erinnere mich an einen Samstag, an dem ich mit seiner Frau Gertrud eine Veranstaltung in Frankfurt besuchte und wir auf dem Rückweg an einem NPD-Stand vorbei kamen. Ohne Vorwarnung ging Gertrud auf die Leute zu und schmiss den Tisch mit den Nazi-Broschüren um. Es muss der Wahlkampf 1980 gewesen sein.
Die Frauenbewegung der 70er Jahre war damals noch lebendig und auch in der Gewerkschaftsbewegung gab es regelmäßige Treffen von aktiven Frauen, zu denen Männer keinen Zugang hatten. Hier habe ich auch meine ersten Texte, meine Gedichte und Geschichten vorgezeigt.
Im dritten Ausbildungsjahr bin ich in den Betriebsrat gewählt worden und habe bei der Wahl zum Vorsitzenden Karl Weil vorgeschlagen. Natürlich erfolglos. Ein paar Tage später, Freitag Abend in der damals legendären Disko „Macabre“, kam der Sohn des Firmenbesitzers auf mich zu: Er wüsste, dass ich Karl zum Vorsitzenden vorgeschlagen hätte, ob mir nicht klar sei, dass der ein Kommunist ist?
Ein paarmal war ich in ihr Haus eingeladen. Haben wir damals über die Vergangenheit geredet? Was es bedeutet hat, im Westdeutschland der 50er und 60er Jahre Kommunist gewesen zu sein, über seine Inhaftierung? Ich erinnere mich nicht. Aber an seine Menschenfreundlichkeit, sein Interesse und seine nachdenkliche Art erinnere mich. Und das Bild seiner Frau – die damals schon über 50 war und seit vielen Jahren tot ist – wie sie ganz nonchalant einen Wahlkampftisch der Rechten umwirft, werde ich nie vergessen.
Karl Weil, ein feiner Mensch, ist 94 Jahre alt geworden.
Danke!
Gerne Elsbeth. Viele Grüße