Buchmesse 2015: „Kunst verträgt keine Demokratie“

Clemens Setz unerwartetes Statement setzte heute den Schlusspunkt unter meinen ersten Buchmesse-Tag 2015. Leander Wattig und der Suhrkamp-Verlag hatten am Nachmittag eingeladen, um über neue Formen der Literaturkritik zu reden und das Experiment www.frau-und-gitarre.de vorgestellt, bei dem 40 Autoren den Roman „Die Stunde zwischen Frau und Gitarre“ von Clemens Setz besprechen. Einer aus der Männerrunde (u.a. Jan Drees und Christoph Kappes) fragte Setz, was er von der Idee hielte, dass sein Manuskript von einem Internet-Publikum lektoriert würde. Es dauert ein paar Minuten bis Setz sein Entsetzen artikulieren konnte: „Das wäre das Ende der Kunst“, sagte er dann. Feedback sei für Autoren nicht untoxisch, so Setz, der sich inzwischen auch von Facebook zurückgezogen hat: Zuviel Interaktionen, zu emotional und sogar Morddrohungen haben dem Autor die „soziale“ Kommunikation auf dieser Plattform vermiest.

„Betreutes Lesen“ als neues digitales Literaturgespräch?

Ausgerechnet der von einem jungen und Internet affinen Publikum gefeierte Autor Setz wehrt sich also gegen Vorstellungen neuer digitaler Mitwirkungsmöglichkeiten des Publikums. Bei diesem Thema auf die Autoren und nicht nur auf die Techniker und Marketingleute zu hören, wäre auch eine sinnvolle Maßnahme zur Literaturförderung. Kunst ist nicht demokratisch – die meisten Menschen würden einen künstlerischen Lebensentwurf gar nicht durchhalten.

Buchpreisträger 2015 Frank Witzel auf dem blauen Sofa
Buchpreisträger 2015 Frank Witzel auf dem blauen Sofa

Buchpreisträger Frank Witzel hat 15 Jahre an seinem Buch „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969“ geschrieben. Ein sympathischer Mann von 60 Jahren, der für seine Kunst sicher auf vieles verzichten musste. Nicht viele halten es aus, so lange auf Anerkennung zu warten.

Sind Soziale Netzwerke der neue Journalismus?
Sind Soziale Netzwerke der neue Journalismus?

Ob es nun Tschurnalisten oder Schurnalisten heißt, darüber hätte man auch mal reden können – tat mann aber nicht. Stattdessen sprachen Heribert Prantl, Alexander Becker und Leif Kramp über die Frage ob Soziale Netzwerke den Journalismus ersetzen würden. Nein, das sei nicht die Frage, der Unterschied bestünde zwischen gutem und schlechtem Journalismus, meinte Prantl und „Qualität kommt von Qual“ – oder wie ich immer sage: Texten ist wie Steine kloppen.

5 Kommentare zu „Buchmesse 2015: „Kunst verträgt keine Demokratie“

  1. Leider, leider verirrt sich die Süddeutsche Zeitung, für die Herr Prantl ja schreibt, seit einer geraumen Weile auf Facebook auch immer öfter in die journalistischen Niederungen und stellt Artikel online, die von der „Blöd“ stammen könnten.

  2. Die Demokratie garantiert die Freiheit der Kunst, jedweder Kunst – auch der politischen Satire – deshalb ist es auch anmaßend zu meinen die Schwarmintelligenz könnte das vertrauensvolle Verhältnis zum Lektorat ersetzen – solche Ansätze öffnen einem Voyeurismus Tür und Tor, der die Kunstfreiheit einschränkt. Ich teile die Meinung von Clemens Setz.

    Danke für den Tagesbericht, leider kann ich diese Jahr nicht selbst zur Messe

    1. Ich habe das geändert, weil das Zitat von Clemens Setz stammt. Mit ihm wurde im Rahmen der oben beschriebenen Veranstaltung über ein öffentliches Lektorat gesprochen. Die Vorstellung, vom Publikum ein nicht veröffentlichtes Werk kritisieren zu lassen, hat zu Recht Angst bei ihm ausgelöst, weil es dem Autor jegliche Souveränität nähme.

      Damit das deutlicher wird, setze ich im Text einen neuen Absatz.

      Am Beispiel von Frank Witzel wollte ich zeigen, dass Demokratie in der Kunst nicht heißen kann, dass das Publikum tüchtig mitmischt, das wirtschaftliche und emotionale Risiko aber allein beim Künstler liegt.

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