Politsadomasochismus oder doch lieber Renate Künast?

Das Duell unserer Kanzlerkandidaten Merkel und Steinmeier war genauso langweilig, wie ich das erwartet habe, aber was haben die TV-Macher und die von Ihnen angepeilten 30 Millionen Zuschauer erwartet? Dass Steinmeier im Baströckchen um Plaßberg tanzt und Merkel als Domina mit Peitsche auftritt?

„Offenkundig wird von Politikern in Deutschland gar nicht mehr erwartet, dass sie Vorbilder im Politischen sein könnten, dass sie Themen setzen und anecken, dass sie besser und qualifizierter sind als der Durchschnittsbürger und deshalb in ein politisches Amt gewählt wurden. Die Deutschen scheinen von ihren Politikern zu erwarten, dass sie sich unterdurchschnittlich begabt zeigen und ihnen möglichst oft nach dem Mund reden. (…) Damit sie auf sie herabsehen und sie niedermachen können, wann immer sich ein Anlass dazu bietet. (…) Politiker rangieren auf der Liste der meistangesehenen gesellschaftlichen Gruppen am Ende der Reputationsskala. Dabei übernehmen sie eine Aufgabe, die im Sinne von Berufung eben mehr sein soll als ein Job. Die oft sieben Tage Arbeit die Woche bis zu sechzehn Stunden pro Tag verlangt für ein Gehalt, für das ein Vorstand nicht einmal ein Bein aus dem Bett hebt.

Wir dürfen uns also nicht wundern, dass wir vergeblich nach den kantigen, meinungsfreudigen und durchsetzungsfähigen Politikern suchen, die in die Parlamente und Regierungen strömen. Wenn es keinen reputativen oder materiellen Mehrwert bedeutet, in die Politik zu gehen, dann bleibt nur ein Antrieb übrig: die Macht. Und dann müssen wir uns fragen, welcher Typus Mensch das sein mag, der vor allem die persönliche Macht als Mehrwert schätzt, die ihn in der Politik hält. Sesselkleber und Intriganten dürfen frohlocken.“

Miriam Meckel hat diese Sätze in einem hervorragenden Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 9.9.09 geschrieben. Die von Meckel beschriebene Haltung eines Großteils der deutschen WählerInnen gegenüber Politikern nennt Renate Künast in ihrem Buch „Träume sind mir nicht genug“ einen „grandiosen Fehler“. Denn: „Wir müssen ein Interesse daran haben, den Respekt für demokratische Institutionen zu erhalten, also auch für Politiker“.

Meinen Respekt hat Künast nach der Lektüre des Buches, das sie gemeinsam mit der Journalistin Cathrin Kallweit geschrieben hat. Das überwiegend im Interviewstil geschriebene Buch ist flüssig zu lesen und zeigt uns schwarz auf weiß, welche politischen Visionen und Ideen die Kanzlerkandidatin der Grünen hat.

Renate Künast hat den nötigen Willen zur Veränderung und sie hat politische Erfahrung. (Die Bedeutung von Erfahrung in politischen Gremien wird leider sträflich unterschätzt. Die meisten Quereinsteiger halten oft nicht einmal eine Legislaturperiode durch – weil sie das Arbeitsaufkommen und die erforderliche Disziplin des Politikgeschäfts falsch einschätzen.)

Ich empfehle dringend, das Buch noch vor der Wahl zu lesen. Die von Gabor Steingart („Die Machtfrage“) beklagte Ideenlosigkeit findet hier ihren Widerpart.

Renate Künast: Träume sind mir nicht genug, Herder Verlag, Euro 19,95, ISBN-13: 9783451301995 ISBN-10: 3451301997

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